Politische Teilhabe durch Selbstwirksamkeit

Wie kann man Menschen für Politik begeistern? Wie kann man ihnen das Gefühl geben, etwas bewirken zu können? Miriam Weber schreibt in diesem Artikel über ihre persönlichen Erfahrungen in der politischen Bildung mit Jugendlichen und die Rolle von Selbstwirksamkeit für politische Teilhabe. Zu diesem Thema gab sie auch einen Input in unserer Veranstaltung "Auf Augenhöhe"zum Thema Klimaschutzpolitik. Lest weiter, um mehr über die Wichtigkeit von Selbstwirksamkeit zu erfahren!

von Miriam Weber

Feierabend. Ich nehme mein Handy, öffne Social Media und schaue, was es für Neuigkeiten gibt. Ich folge vielen Nachrichtenseiten und kann mir so in kurzer Zeit einen Überblick darüber verschaffen, was ich im Laufe des Tages alles verpasst habe. Direkt lese ich über Krieg, die zunehmende Bedrohung der Klimakrise und über Politik, die (in vielen Punkten) versagt. Es bilden sich Sorgenfalten auf meiner Stirn und ich bekomme Angst. Ich schließe mein Handy. Manche würden sagen, ich übertreibe, aber so sieht leider der Alltag vieler junger Menschen aus. Angst ist längst eine allgegenwärtige Emotion.

Der zunehmende Rechtsruck, die zunehmende Geschwindigkeit des Klimawandels, Politiker*innen, die mit ihren Entscheidungen zu langsam sind (und oft mit einer verkehrten Perspektive), sind längst Alltag von jungen Menschen. Durch die Tatsache, dass Menschen über meine Zukunft mitentscheiden, die diese Zukunft gar nicht erleben werden, fühle ich mich hilflos.

Jetzt sitze ich hier, schreibe einen Blogbeitrag und frage mich, wie ich gut rüberbringen kann, was mir und vielen Menschen wichtig ist; was notwendig ist, damit die jungen Generationen eine Zukunft haben.

Ich möchte mich heute vor allem auf ein Thema fokussieren: Selbstwirksamkeit und wieso es wichtig, nein, essenziell ist, gerade junge Menschen zu beteiligen.

Zuerst möchte ich auf einen mir wichtigen Aspekt eingehen: Politikverdrossenheit. Seit mehreren Jahren bin ich in der politischen Bildungsarbeit sowie aktivistisch tätig. Dort begegne ich leider zu vielen Menschen, die meine Generation als „politikverdrossen“ bezeichnen, die über uns sagen, dass wir „eh keinen Bock haben“ oder „es eh nicht verstehen“. Zusätzlich höre ich oft die Aussage: „Du bist noch jung, deine Meinung wird sich noch ändern“. Dann ist es meist egal, was ich antworte, wie gut ich argumentiere oder meine Argumente mit Wissen belege – denn ich bin ja noch jung. Ich bitte euch (oder Sie) inständig, dass solche Aussagen keinen Platz mehr in Konversationen finden. Dass stattdessen, wenn der Eindruck von Desinteresse entsteht, motiviert und Wissen geteilt wird. Oder auch eine Idee: Fragt nach. Denn durch Aussagen wie die oben zitierten wird Desinteresse oft noch größer.

Politikverdrossenheit (besser: Desinteresse/Unzufriedenheit mit der Politik) schließt auf der einen Seite Menschen ein, die müde von der aktuellen Politik sind. Menschen, die nicht das Gefühl haben, etwas ändern zu können, geschweige denn Einfluss zu nehmen und enttäuscht von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sind – oder die Politik aufgegeben haben. Auf der anderen Seite schließt der Begriff Menschen ein, die mit dem aktuellen politischen System unzufrieden sind. Die Ursachen dieser Phänomene möchte ich hier weniger beleuchten. Vielmehr:

Was können wir tun, um dem entgegenzuwirken und sogenannter „Politikverdrossenheit“ vorzubeugen?

Meine Antwort ist: Wir müssen in den Menschen das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken. Aktuell beobachten wir das Zeugnis von mangelnder Selbstwirksamkeit. Politik und andere Entscheidungsträger*innen beziehen die Bevölkerung nicht ausreichend in Entscheidungen und Geschehnisse ein. Deshalb verstehen viele Menschen nicht, wieso etwas entschieden wird, wieso so gehandelt wird (unabhängig davon, ob es wirklich sinnvoll ist oder nicht). Wenn Menschen nicht einbezogen werden, fehlt ihnen das Wissen zu aktuellem Geschehen und auch, nachvollziehbarerweise, die Motivation, sich neben den eigenen alltäglichen Problemen zusätzlich mit Politik auseinanderzusetzen. Auch nicht jede*r hat das Privileg, sich mit den Themen auseinandersetzen zu können.

Um jetzt zum Positiven zu kommen: In meiner Arbeit in der politischen Bildung erlebe ich die Kraft von Selbstwirksamkeit in nahezu jedem Workshop. Teilweise sind wir die ersten Menschen, die meinen Peers (Gleichaltrige) zuhören. Die ihnen einen Raum bieten, ihre eigene Meinung zu bilden, Dinge kritisch zu betrachten und in dem die eigenen Möglichkeiten klar werden.

Ein kurzer Einschub an dieser Stelle: In meinen Augen ist es skandalös, dass ehrenamtliche Gleichaltrige die ersten Menschen sind, die Schüler*innen bzw. jungen Menschen zuhören, sie aktiv nach ihren Bedürfnissen fragen und sie dabei unterstützen laut zu werden – ihre Rechte zu erkämpfen. Ja, es ist oft ein Kampf (hier ist der Begriff nicht mit einem gewalttätigen Hintergrund zu verstehen). Dies ist nicht zwingend einzelnen Personen geschuldet, sondern vielmehr dem System, in dem wir leben. Das Schulsystem möchte ich hier besonders hervorheben.

So, jetzt wieder zurück zu der Kraft, die Selbstwirksamkeit haben kann. Ich habe Menschen darin begleitet, sich gegen Diskriminierung zu wehren, gemeinsam stark und laut zu sein. Erlebte Selbstwirksamkeit hat häufig Solidarität zur Folge (wovon wir aktuell viel zu wenig beobachten können). Wenn Menschen in dem unterstützt werden, was sie sich wünschen, hat das oft zur Folge, dass sie sich auch für andere Themengebiete und andere Menschen einsetzen möchten. Sie möchten Einfluss nehmen, (mit-)gestalten, Dinge für andere ändern. Politikverdrossenheit ist dann kein Thema mehr. Selbstwirksamkeit befördert den Wunsch und das Vermögen, mitzugestalten. Mir geht mein Herz auf, wenn ich nach Monaten höre, was meine Arbeit bewirken konnte.

Mal ein kleines Beispiel: Mithilfe der Klagemauer haben wir an einer Schule herausgearbeitet, was sich die Schüler*innen wünschen und was sie in ihrem Schulalltag belastet. Die Klagemauer ist eine meiner Lieblingsmethoden, eine symbolische Mauer, an der „Anklagepunkte“ gesammelt werden. Im Anschluss haben wir methodisch überlegt, wie diese Problemstellen bearbeitet werden können und einen Maßnahmenplan entworfen. Der Workshop dauerte sechs Stunden. Was ist daraus entstanden? Die Schüler*innen haben gesammelt, wo sie sich in der Schule übergangen und nicht gehört fühlen. Sie haben einen Beitrag dazu veröffentlicht und sich mobilisiert.

Die Kraft der Gemeinschaft, einer Gruppe, eines Kollektivs und das Bündeln von Kräften können eine sehr große Wirkung erzielen. Neben dem Effekt, dass es Menschen motiviert, selbst aktiv zu werden, weil es „nicht nur an mir hängt“, sind die Reaktionen umso ertragreicher. Die Letzte Generation Hannover ist hier ein gutes und wie ich finde, sehr Hoffnung gebendes Beispiel: Sie haben durch friedlichen, gemeinsamen Protest bewirkt, dass der Bürgermeister die Protestant*innen zu einem Gespräch geladen und gefragt hat (ja, das geht!), was geändert werden muss, damit diese Protestform nicht mehr stattfindet – und sie haben eine Einigung gefunden (NDR 2023).

Bevor ich meinen Laptop schließe, gibt es noch eins, worauf ich den Fokus deiner Aufmerksamkeit als Leser*in lenken möchte:

Wir jungen Menschen müssen die Zukunft erleben, die uns aktuell geschaffen wird. Zahlreiche Proteste, auch in Form von Wahlergebnissen, zeigen deutlich, dass wir mit dem aktuellen Geschehen mehr als nicht einverstanden sind. Wir haben Angst vor unserer / um unsere Zukunft. Deshalb, bitte, beteiligt uns aktiv! Hört unsere Stimmen und ignoriert sie nicht.

 

QUELLEN:

NDR 2023: Einigung mit OB von Hannover: „Letzte Generation“ zufrieden

 

Klickt hier, um zum Veranstaltungsbericht der Veranstaltung „Auf Augenhöhe“ zum Thema Klimaschutzpolitik zu gelangen!

Zu einem Interview über politische Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte und der Bedeutung von Teilhabe dafür, sich als Teil der Stadtgesellschaft fühlen zu können, geht es hier entlang!

 

 

 

 

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