Beteiligungskultur in Berlin stärken

Trotz der Sammlungen von Informationsmaterialien und Leitfäden zur Bürger:innenbeteiligung (unterrepräsentierter Gruppen), kommt es oft vor, dass dieses Wissen nicht in die Entwicklung und Umsetzung von Beteiligungsverfahren einbezogen wird. Warum ist das so? Wo kann für eine Veränderung der Situation angesetzt werden? Wir haben mit Menschen gesprochen, die Beteiligungsprozesse gestalten, und mit Menschen, die in Beteiligungsprozessen oft nicht repräsentiert sind.

Die Beteiligungslandschaft ist in Berlin über die vergangenen Jahre vielfältiger geworden und es gibt, über die formalen Ansätze hinaus, viele Verfahren bei denen informelle Bürger:innenbeteiligung integriert wird. Darüber hinaus haben die Akteure in Berlin verstanden, dass sich nicht alle Menschen in der Stadt gleichermaßen beteiligen können oder in den bestehenden Formaten beteiligen wollen. Für diese „ungehörten Gruppen“ müssen neue Wege der Ansprache und Beteiligung eingeschlagen werden. Seit Juni 2019 existieren die „Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Projekten und Prozessen der räumlichen Stadtentwicklung“. Im Rahmen des Umsetzungsprozesses wurden in Berlin und den Berliner Bezirken u.a. die „Räume für Beteiligung“ sowie „Beteiligungsbeiräte“ geschaffen. Sie dienen als Anlaufstellen und Kontaktpunkte zwischen Bürger:innen und der Verwaltung und können beratend tätig werden. Darüber hinaus sehen die Leitlinien mit dem Grundsatz 5. „Viele verschieden beteiligen“ und den Anforderungen an Barrierefreiheit, Interkulturelle Kommunikation sowie Kinder- und Jugendbeteiligung eine größtmögliche Diversität vor. Und auch schon 2012 im „Handbuch zur Partizipation“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt wurde auf „Ungleiche Partizipationsverhalten verschiedener Bevölkerungsgruppen“ hingewiesen und die Notwendigkeit der angepassten Ansprache erläutert (S. 61). Trotz der Sammlungen von Informationsmaterialien (z.B. den Handlungsempfehlungen „Berlin gerecht werden – Handlungsempfehlungen für eine diverse Beteiligung“) und Leitfäden zur Bürger:innenbeteiligung (unterrepräsentierter Gruppen), kommt es oft vor, dass dieses Wissen nicht in die Entwicklung und Umsetzung von Beteiligungsverfahren einbezogen wird. Warum ist das so? Wo kann für eine Veränderung der Situation angesetzt werden? Wir haben mit Menschen gesprochen, die Beteiligungsprozesse gestalten, und mit Menschen, die in Beteiligungsprozessen oft nicht repräsentiert sind.

Die Auskünfte zeigen, dass die beteiligten Akteur:innen kein Erkenntnisproblem haben. Die eigentliche Herausforderung liegt nicht in der Aufbereitung der Informationen, sondern darin, die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, um eine Kultur der Beteiligung in Berlin zu etablieren. Auf dieser Grundlage können die Leitlinien und das vorhandene Wissen effektiv wirken.

Sensibilisierung und Förderung der Diversität

Mit der Entwicklung der „Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Projekten und Prozessen der räumlichen Stadtentwicklung“ haben Politik und Verwaltung gezeigt, dass sie die Notwendigkeit einer diversen Beteiligung erkannt haben. Gleichzeitig erfordern die Umsetzung der Leitlinien, die Erarbeitung von inklusiven Beteiligungskonzepten sowie die Ansprache von diversen Gruppen allerdings spezielles Wissen bei den zuständigen Fachabteilungen. Die Unterschiede in der Berücksichtigung der Faktoren für die diverse Beteiligung in der Planung führt somit zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Qualität und Tiefe der Einbeziehung unterrepräsentierter Gruppen angeht. Trotz der Leitlinien gibt es große Unterschiede zwischen der Arbeit einzelner Personen und zwischen den Berliner Bezirken.

In der Verwaltung fehlt oft flächendeckend die nötige Sensibilisierung für die Themen unterrepräsentierter Gruppen z.B. in Bezug auf Kenntnisse über Diskriminierungserfahrungen, Mehrsprachigkeit oder Maßnahmen zur Barrierearmut, wie die Nutzung einfacher Sprache. Um die entsprechenden Kenntnisse für eine diverse Beteiligung zu erhöhen, müssen (mehr) Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter:innen und Mitwirkende zur Verfügung gestellt und verpflichtend gemacht werden, bei denen  rassismuskritische und migrationsgesellschaftliche Kompetenz und Maßnahmen für Barrierearmut im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus ist die Förderung der Diversität der Verwaltungsmitarbeitenden mit geeigneten Maßnahmen anzustreben. Die partizipative Erarbeitung von Beteiligungskonzepten durch die Einbeziehung der Beteiligungsbeiräte ist nicht verpflichtend und es obliegt der für ein Vorhaben verantwortlichen Verwaltung, ob die vorhandene Expertise genutzt wird. Entsprechend für Bürger:innenbeteiligung und die Beteiligung unterrepräsentierter Gruppen geschulte Mitarbeitende in den Fachabteilungen könnten die nötigen Strukturen für eine kontinuierliche Einbindung schaffen. Der politische Wille, umfangreiche Beteiligung zu fördern und die Offenheit der Verwaltung für Veränderung werden in Zukunft für die Beteiligung unterrepräsentierter Gruppen zentral sein.

Ressourcen bereitstellen

Eine umfangreiche (diverse) Beteiligung ist vor allem eine finanzielle Herausforderung und muss frühzeitig geplant werden, um die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang wird auf bestehende und „einfach umsetzbare“ Verfahren zurückgegriffen, bei denen die Kenntnisse zur diversen Beteiligung keine ausreichende Berücksichtigung finden. Darüber hinaus sind die nötigen Maßnahmen, wie beispielsweise (Gebärden-)Dolmetschung für Veranstaltungen oft nicht verfügbar oder sehr teuer. Auch das Erproben neuer Methoden und Formate sowie das explorative Arbeiten erfordern finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen. Beteiligung muss als Querschnittsaufgabe angenommen werden, was durch die komplexen Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung erschwert wird. Dies beschränkt bei den nachfolgende Beteiligungsakteuren (z.B. Beteiligungsagenturen) den Umfang der Einbeziehung von Faktoren, die die Teilhabe unterrepräsentieret Gruppen fördern (z.B. Ko-Kreation, Formoffenheit, Beteiligungsspielraum, Vertrauen schaffen, exploratives Vorgehen etc.). Die Umsetzung umfangreicher und offener Prozesse ist daher oft nur im Rahmen von Pilotprojekten, wie z.B. der Smart City Strategie möglich, bei denen Expert:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen die Konzeption und Umsetzung der Vorhaben erarbeiten und intensiv begleiten.

Vertrauen aufbauen und Teilhabe fördern

Beteiligung geht nicht ohne Teilhabe und alle Instrumente der diversen Beteiligung helfen nicht, wenn Menschen sich z.B. durch Diskriminierungserfahrungen nicht als Teil der Stadtgesellschaft sehen. Um eine diverse Beteiligung zu erreichen und unabhängig vom Verfahren Interesse an Beteiligung zu erzeugen, müssen dauerhaft Kontakt und Austausch zwischen den Bürger:innen, Multiplikator:innen und der Verwaltung existieren. Im Rahmen eines Beteiligungsprozesses ist es sonst schwer, die Menschen vor Ort zu erreichen. Gepflegte und auf Dauer angelegte Netzwerke um Verwaltung, Zivilgesellschaft und Multiplikator:innen innerhalb der Stadt, sind daher essentiell um Vertrauen aufzubauen, die geeignete Zielgruppe für ein Verfahren zu ermitteln und mit den richtigen (Kommunikations-)Mitteln zu erreichen. Auf diese Weise kann der Ermüdung bei Beteiligungsverfahren entgegengewirkt werden. Viel grundsätzlicher für die Beteiligungsbereitschaft bleibt aber die gleichberechtigte Teilhabe alle Menschen an Politik und Gesellschaft in Berlin und dies fängt mit der Fähigkeit an, seine Grundbedürfnisse erfüllen zu können.

 

Den Handlungsempfehlungen liegen Austausche mit Beteiligungsagenturen und Expert:innen (z.B. Zebralog) und gemeinnützigen Vereine/Stiftungen (CityLab, moveGLOBAL e.V.) und verwaltungsnahen Institutionen (Büro für Bürger*innenbeteiligung Mitte, L.I.S.T. GmbH) sowie die Handlungsempfehlungen „Vielfalt stärken, Rassismus Abbauen“, der Erfahrungsaustausch der Initiative „Auf Augenhöhe“ sowie die Veranstaltung „Wie sieht es mit der Beteiligungskultur in Berlin aus?“ sowie die Informationen aus den Verweisen zugrunde.

 

Verweise

Berlin gerecht werden – Handlungsempfehlungen für eine diverse Beteiligung (GEMEINSAM BERLIN 2020), https://gemeinsamberlin.blog/berlin-gerecht-werden-handlungsempfehlungen-fuer-eine-diverse-beteiligung/

EMVI Empowering Migrant Voices on Integration and Inclusion Policies (MoveGLOBAL e.V. – Berliner Verband für migrantisch-diasporische Organisationen in der Einen-Welt 2022),  https://moveglobal.de/wp-content/uploads/EMVI-Bericht-Deutsch.pdf

Handbuch zur Partizipation (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2012), https://www.berlin.de/raum-fuer-beteiligung/links-downloads/handbuch_partizipation.pdf

Kommunikation und Bürgerbeteiligung Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Projekten und Prozessen der räumlichen Stadtentwicklung (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen 2019), file:///C:/Users/Assistenz13/Downloads/langfassungllbb_gemeinsamstadtmachen_abschlusskommunikation-1.pdf

Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Projekten und Prozessen der räumlichen Stadtentwicklung – Umsetzungskonzept (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen 2021), file:///C:/Users/Assistenz13/Downloads/umsetzungskonzept_leitlinien_fuer_buergerbeteiligung_an_der_raeumlichen_stadtentwicklung%20(1).pdf

Mehr Erreichen! Neue Erkenntnisse zu den Chancen und Grenzen von Bürgerbeteiligung (More in Common 2023), https://www.moreincommon.de/media/j2cbavzc/empfehlungspapier_mehr_erreichen_b%C3%BCrgerbeteiligung_more_in_common.pdf

„Politische Teilhabe ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich als Teil der Stadtgesellschaft fühlen können“ (GEMEINSAM BERLIN 2023), https://gemeinsamberlin.blog/politische-teilhabe-ist-die-voraussetzung-dafuer-dass-menschen-sich-als-teil-der-stadtgesellschaft-fuehlen-koennen/

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