Was wünschen sich die Menschen, die in Beteiligungsprozessen meist unterrepräsentiert sind, für Berlin? Wie stellen sich diejenigen Berlin vor, die sich in der Stadtdebatte nur selten Gehör verschaffen? Am 18. Dezember wurde bei ALEX Berlin mit Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft darüber diskutiert, wie inklusive Beteiligung in Berlin aussehen kann. Der Berliner Radio- und Fernsehsender ALEX TV übertrug die Veranstaltung live.
Stefan Richter, Vorstand der Stiftung Zukunft Berlin und Sawsan Chebli, Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement, führten in die Veranstaltung ein. „Es geht uns nicht nur darum, möglichst viele Menschen mit gleichen Hintergründen zu Wort kommen zu lassen – sondern darum, Vielfalt abzubilden“, machte Richter deutlich. Chebli nannte die Beteiligung unterrepräsentierter Gruppen ein „Herzensanliegen“: Demokratie müsse dafür sorgen, dass sich alle beteiligen könnten. „Wenn sie dieses Versprechen nicht einlösen kann, untergräbt sie ihr eigenes Fundament“, so Chebli.
Jascha Rohr, Geschäftsführer des Instituts für Partizipatives Gestalten, übernahm daraufhin das Wort und stellte eine Institutsstudie zum Thema Inklusion in der Bürgerbeteiligung vor. Demnach seien in Beteiligungsveranstaltungen hauptsächlich weiße gebildete Männer über fünfzig vertreten. Gründe für Nicht-Beteiligung gebe es viele: „Es gibt die, die nicht wollen, es gibt die, die nicht können und es gibt die, die nicht gefragt werden“, fasste Rohr sie zusammen. Um diese Probleme anzugehen, hat das Institut im Rahmen des vorgestellten Forschungsprojektes unter anderem ein Webtool entwickelt: Interessierte könnten die von ihnen genutzten Beteiligungsverfahren ins Tool einspeisen und erhielten dann Hinweise, Tipps und methodische Möglichkeiten, um das entsprechende Verfahren inklusiver zu gestalten.
Über die Bedeutung von sozialen Milieus im Hinblick auf Beteiligung sprach Thomas Kuder vom Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V.: So sage das Milieu, dem ein Mensch entstamme, nicht nur etwas über dessen Sozialdaten, sondern auch etwas über seine Wertebilder und Lebensweisen aus. Deshalb bietet der Verein unter anderem Milieusensibilisierungs-Workshops für Politik, Verwaltung und Intermediäre an: Auf diese Weise könne man ein Grundwissen über Milieus und zielgerichtete Strategien entwickeln, um möglichst viele Menschen einzubeziehen, so Kuder.
In einem von Stefan Richter moderierten Gespräch gaben anschließend Sawsan Chebli und Susanna Kahlefeld, Vorsitzende des Ausschusses für Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation im Berliner Abgeordnetenhaus, einen Einblick in die Schwerpunkte der Berliner Politik im Bereich Bürgerbeteiligung.
Kahlefeld übte dabei zunächst Selbstkritik: Zwar sei in Berlin eine „hervorragende Bürger*innenschaft“ aktiv, auf der Ebene von Politik und Verwaltung könne man dieser zurzeit aber noch nicht gerecht werden. Darüber hinaus handele es sich bei den nicht beteiligten Menschen keineswegs um eine homogene Masse, sondern um verschiedene Zielgruppen, auf die jeweils unterschiedlich reagiert werden müsse. Die Politik solle deshalb jetzt Strukturen zu schaffen, um die richtigen Beteiligungsmethoden für jede dieser Gruppen bereitstellen zu können.
Chebli ergänzte, dass Beteiligung vor allem der Stärkung „unserer Demokratie“ diene. Sie verwies in diesem Zuge auch auf die Kampagne „Farbe bekennen“, welche die Senatskanzlei 2017 ins Leben rief und die vor allem dazu beitragen solle, in Deutschland engagierten Geflüchteten eine Stimme zu geben. „Farbe bekennen“ sei nicht nur Initiative, sondern auch „Vision und Mission für das Zusammenleben in unserer Stadt“, so Chebli.
Schließlich wurde die Diskussion auch für das Publikum geöffnet: Jörg Richert vom Karuna e.V. stellte die Arbeit des Vereins, der sich die Selbstermächtigung von vor allem wohnungslosen Kindern und Jugendlichen zum Ziel gesetzt hat, vor. Im Laufe der eigenen Entwicklung habe man im Verein gemerkt, dass Beteiligung zwar gewollt, aber nicht so einfach zu erreichen sei, so Richert.
Diese Erkenntnis habe unter anderem zur Entstehung von „Momo – the voice of disconnected youth“, einer Jugendinitiative von Karuna, geführt: Sie bietet bundesweit eine Selbst- und Interessenvertretung für obdach- oder wohnungslose Jugendliche an und setzt sich damit auf politischer Ebene für die Belange von Straßenkindern ein. Anstatt auf Mitleid setze man bei Momo auf aktives Mitgefühl, erzählen die Berliner Mitarbeiterinnen Sophie Räder und Nicola Stegemann. „Es geht uns um die Menschen, die nichts haben“, so eine der jungen Frauen. „Wie kann man diesen Menschen helfen?“ Aus dem Publikum erhielten sie viel Zuspruch für ihre Arbeit.
Im Anschluss trat Samad Berdjas auf die Bühne, der für die Öffentlichkeitsarbeit des Beruflichen Qualifizierungsnetzwerks für Migrantinnen und Migranten in Berlin (BQN Berlin e.V.) zuständig ist. Mit der Initiative „Berlin braucht dich!“ setzt sich der Verein seit über zehn Jahren für die erfolgreiche Vermittlung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Ausbildungsberufe ein – weshalb sich auch drei junge Männer aus Familien mit Migrationsgeschichte an der Diskussion beteiligten: Paulos Anesiadis, Hussein Fakhro und Engin Erdal. Alle drei haben ihre Ausbildung in Berlin begonnen oder bereits absolviert und erzählten, wie sie in Berlin zurechtkamen und -kommen und in welchen Situationen sie nach wie vor Diskriminierung erfahren.
Hussein Fakhro hat seine Ausbildung zum Immobilienkaufmann bei der Gewobag absolviert und wurde anschließend übernommen. Allgemein könne man nicht sagen, dass er aufgrund seines Migrationshintergrundes benachteiligt worden sei, so der 21-jährige Deutsche mit libanesischen Wurzeln: „Wenn man selbst zeigt: Ich möchte etwas erreichen und ich tue auch gern etwas dafür – dann kriegt man diese Unterstützung auch.“
Trotzdem sei das erste Ausbildungsjahr sehr hart gewesen; oft habe er darüber nachgedacht abzubrechen. Er habe dann gelernt, sich von diskriminierenden Äußerungen wie der Frage nach seiner Herkunft nicht angreifen zu lassen: „Das sind doch Fragen, die müssen nicht mehr gestellt werden!“. Von vielen Seiten sei ihm damals gesagt worden, dass er es nicht schaffen könne. „Aber am Ende habe ich es geschafft“, erklärte er mit einem breiten Grinsen und erntete Applaus. Aus dem Publikum wurden die jungen Männer gefragt, welche Möglichkeiten der Mitverantwortung sie für besonders sinnvoll hielten. Sie erzählten daraufhin von ihrer eigenen Beteiligung in Jugendclubs, Schulen und Stiftungen.
Stefan Richter schloss die Veranstaltung mit einem Ausblick ab: Man wolle für 2019 Formate entwickeln, um in Schulen oder den Kiez zu gehen und zu lernen, wie auch dort ansässige Gruppen an wichtigen Stadtprojekten beteiligt werden könnten. „Das, was wir wollen, ist letztendlich ein Gemeinschaftsprojekt Stadt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns auf diesem Weg begleiten“, so Richter.