SchwarzRund: Inklusion ist eine Himmelsrichtung

SchwarzRund bloggt, schreibt, studiert, performt und coacht zu den Themenschwerpunkten mehrdimensionale Verletzbarkeiten, Intersektionalität, Queer-Feminismus, Körperpolitiken und Schwarze Politiken. In diesem Gastbeitrag für GEMEINSAM BERLIN befasst sie sich mit der Frage der Barrierefreiheit und plädiert für mehr Transparenz in der Kommunikation über soziale Normen.  

Charlene Carruthers kommt in ihrem Manifest Unapologetic zu dem Schluss: „Aktivismus kann nur erfolgreich sein, wenn er gemeinsam von vielen durchgeführt wird.“ Wie werde ich diesem Anspruch gerecht, wenn die meisten AGs, Parteien und Initiativen Barrieren re_produzieren? Bisher ist die Antwort meistens: alleine.

Zumindest berate ich solche Gruppen mittlerweile ausschließlich gegen Honorar. Die Hoffnung des Gegenübers scheint zu sein: Schnell die unangenehme Beratung überstehen – erledigt. Schnell „inklusiv!“ und „intersektional!“ auf den Flyer schreiben! Das schreckt mich genug ab, um mir selbst zuliebe nicht in diesen Gruppen aktiv zu werden. Ich kann es mir nicht leisten, den Rest der Woche resigniert zu grübeln für ein, zwei Stunden Plenum.

Behinderte Friends und ich überlegen viel, wie Probleme im Stadtteil gelöst werden könnten. Es sind weder fehlendes Wissen noch fehlendes Eigeninteresse, die mich von gemeinsamer Stadtteilarbeit fernhalten: Ich brauche eine Stadt, die machtkritisch gedacht wird!

„Was genau macht eine Veranstaltung barrierefrei?“ Die kurze Antwort ist: Checkt diese Liste vom A.K. MOB.

Kommunikation statt Normen

Doch die Frage wird gestellt aus einer Angstposition. Aus Angst davor, eine eindeutige Norm, „Barrierefrei“, nicht zu erfüllen. Angst bleibt ein schlechter Ratgeber, fordert ein schnellstmögliches Befreien von der entstandenen Anspannung, ein Label als „fertig beraten, jetzt voll barrierefrei!“. Doch das reicht mir nicht mehr! Meine Gegenfrage lautet: Wie können 2021 noch immer Arbeitsgruppen entstehen, in denen unsichtbar Behinderte sich nicht trauen, darüber zu sprechen, und keine*r von euch sichtbar behindert ist?

Wo kommen Behinderte Stimmen vor in euren Gremien? Nicht nur zum Thema Inklusion, sondern zu allen Themen! Worum geht es bei euren Events? Denkt ihr Barrieren nur mit, wenn ihr über Behinderung sprecht? Solange Projekte versuchen mitzudenken, wie Dr. Kelly es benennt, wird der Versuch, multiperspektivisch zu arbeiten, an einer simplifizierten Idee von Menschsein scheitern. Die Bedürfnisse Behinderter Menschen als Verunmöglichung der Bedürfnisse von Menschen unter 30, als wären dies unterschiedliche Gruppen ohne Überschneidungen.

Projekte, die die Stadt gestalten, sollten fragen: Was ist unser Ziel, unser ganz individuelles? Wie passt das mit dem Ziel der Gruppe zusammen? Wie kommunizieren wir? Wie gehen wir damit um, dass es verschiedene Formen der Kommunikation gibt? Bisher ist mir keine Gruppe begegnet, die so homogen war, wie sie es in der verzweifelten Beratungsanfrage behauptete. Es fehlte an Chancen, um angstfrei über interne Machtreproduktionen und Differenzen zu sprechen.

Die unbenannten und unreflektierten Normen, die in Gruppen entstehen, sind nur durch ergebnisoffene, kontinuierliche Kommunikation zu beheben. Ein Startpunkt für die Reflexion interner Normen ist das obligatorische gemeinsame Bier nach dem eigentlichen Treffen. Doch schon das stellt einige Ansprüche an die Teilnehmenden:
Wer kann sich so lange in einer sozialen Gruppe bewegen?
Wer kann Reize so entspannt filtern, um in einer Bar einem Gespräch zu folgen?
Wer hat Geld dafür über, wer ist suchtkrank, wer braucht und/oder leistet Sorgearbeit?

Ein Code of Conduct als Eingeständnis

Es gibt kein Richtig und Falsch, nicht ausschließlich barrierefrei und barrierevoll im Alltag. Dies sind grobe Konzepte, Himmelsrichtungen, keine tatsächlichen Zielgeraden. Sobald mehr als zwei Menschen zusammenarbeiten mit dem Anspruch, gesellschaftliche Ausschlüsse nicht zu verstärken, sollte aus der kontinuierlichen Kommunikation eine transparente Verschriftlichung entstehen, ein Code of Conduct. Dieser beinhaltet Übereinkünfte, die stetig erweitert, diskutiert und angepasst werden. Ich träume davon, mir bei einem heißen Kakao durchzulesen, was ihr so mit_denkt. So kann ich in Ruhe entscheiden, ob ich Lust darauf habe, Weiteres einzubringen. Danach schreibe ich euch bequem eine E-Mail, ihr überlegt, und erst dann kommen wir zusammen – oder nicht.

Letztendlich ist ein Code of Conduct ein Eingeständnis: In einer Gesellschaft, die auf Unterdrückung basiert, können wir uns nicht deklarieren als final unterdrückungsfrei. Es hilft jenen, die mehrdimensionale Verletzbarkeiten er_leben, proaktiv mit ihrer Energie umzugehen.
Dieser endlose Energieaufwand für die Vorrecherche:
Bin ich die erste Behinderte Person dort?;
der Versuch, auf Google Maps zu entschlüsseln, ob der Zugang gegeben ist;
da steht barrierefrei – nur 5 Stufen – was soll das heißen?

Und letztendlich das Gefühl, doch verletzt zu werden, wenn du dich hin getraut hast:
Oh, okay, hier darf mensch nur nach teuren Weiterbildungskursen in der gewaltfreien Kommunikations-Methode reden, wofür ich kein Geld habe und nicht neurotypisch genug bin.

Nüchternheit statt Aktionismus

Wenn Barrieren und Ausschlüsse benannt werden, sehne ich mich nach Nüchternheit statt aktionistischer Panik in der Reaktion. Seht nüchtern ein, für euch ist das was Neues, für die marginalisierte Person ein alter Hut. Es gibt keine perfekte barrierefreie Veranstaltung, da einige Bedürfnisse sich gegenseitig ausschließen. Euer Barabend zur Stadtgestaltung wird weder jeden Bordstein absenken noch Behindertenfeindlichkeit beenden. Nüchternheit heißt: Seid transparent, flexibel und reflektiert interne re_produzierte Normen mit derselben Dringlichkeit wie eure externen politischen Ziele.

Dafür braucht es ein Bewusstsein der gruppeninternen Schwachstellen. Und wie erfahrt ihr von diesen Schwachstellen? Durch Kritik, Feedback und Call-Outs. Die ihr ab jetzt einfach als grandiose Geschenke zu schätzen lernt.

SchwarzRund kam als Schwarze Deutsche Dominikaner*in mit drei Jahren nach Bremen und lebt seit über einem Jahrzehnt in Berlin. Seit 2013 publiziert sie auf ihrem Blog schwarzrund.de und in diversen Magazinen. Mehrdimensionale Lebensrealitäten inner- und außerhalb von Communitys verhandelt sie in Performance-Texten, Vorträgen und Veranstaltungsreihen. Sie hat einen Bachelor-Abschluss in Kulturwissenschaften und Gender Studies und absolviert in Letzterem derzeit einen Master. Ihr Forschungsschwerpunkt sind marginalisierte Schwarze Identitäten. 2016 erschien ihr afropolitaner Berlin-Roman BISKAYA, 2020 folgte die Afroqueere Novelle QUASI im Ach.Je Verlag. Über un_sichtbare Behinderungen podcastet sie mit simo tier bei Rampe? Reicht!

Foto: SchwarzRund 2019

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