HEY Köln! Ein Verfahren zur Kinder- und Jugendbeteiligung

Alle politischen Entscheidungen, die in Kommunen getroffen werden, haben Einfluss auf die nächsten Generationen und betreffen junge Menschen direkt oder indirekt. Kinder und Jugendliche sammeln ihre ersten Erfahrungen mit Politik und Demokratie in der Stadt, in der sie leben und aufwachsen. Nicht umsonst wird die kommunale Ebene oftmals als „Schule der Demokratie“ bezeichnet. Die Kommune bietet die Möglichkeit, mit demokratischen Strukturen erstmalig in Berührung zu kommen und positive Erfahrungen bei der Mitwirkung an Entscheidungsprozessen zu sammeln. Doch birgt dieser Punkt auch die größte Gefahr. Wenn Kinder und Jugendliche bereits bei ihren ersten partizipativen Verfahren keine Wirksamkeitserfahrungen machen, manifestiert sich unter Umständen diese Frustrationserfahrung in Bezug auf zukünftige Beteiligungsverfahren. Ein Projekt, dass sich zum Ziel gesetzt hat, sowohl Wirksamkeitserfahrungen für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen als auch die Qualität der städtischen Umgebung mithilfe der Perspektiven von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, ist das Projekt „HEY Köln!“.

von Leonie Firmenich, Katharina Pitko, Jennifer Stehr und Anica Latzer-Schulte – Stadt Köln

Das Projekt „HEY Köln!“ – ein Beispiel für Kinder- und Jugendbeteiligung

Ein Projekt, dass sich zum Ziel gesetzt hat, sowohl Wirksamkeitserfahrungen für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen als auch die Qualität der städtischen Umgebung mithilfe der Perspektiven von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, ist das Projekt „HEY Köln!“. Laut Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention, haben Kinde das Recht auf Beteiligung an sie betreffenden Themen. Als Expert:innen ihrer Lebensrealitäten sollen sie die Möglichkeit haben, ihre Ideen und Meinungen bei Stadtentwicklungsthemen, wie Mobilität, Klimaschutz oder Stadtplanung, einzubringen.

Im Zuge des Projektes „HEY Köln!“ wurde ein mehrstufiges Beteiligungskonzept entwickelt, der „Veedels-Check“. Als Veedel werden in Köln die Stadtbezirke mit den jeweils zugehörigen Stadtteilen bezeichnet. Die Idee des Veedels-Checks verbindet analoge und digitale Elemente und Methoden der Partizipation. Zentrales Element des Veedels-Checks sind die Veedels-Spaziergänge in Verbindung mit Feedback in einer digitalen Karte. Weitere Bausteine des Verfahrens sind eine gemeinsame Konferenz, in der die Ergebnisse der Ortsbegehungen diskutiert werden, sowie die 100-Tage-Challenge und der Re-Check-Spaziergang.

Bisher wurde der Veedels-Check im Bezirk Köln-Mülheim 2022 als Pilotprojekt getestet und mit Unterstützung der katholischen Hochschule Köln ausführlich evaluiert, um den Ansatz übertragbar zu machen. Das zweite Pilot-Beteiligungsformat „HEY Nippes“ soll im kommenden Jahr 2024 im Stadtteil Köln-Nippes umgesetzt werden. Das Ziel ist es, das Verfahren als standardisierten Baustein der Kinder- und Jugendbeteiligung auch in allen anderen Kölner Stadtbezirken umzusetzen.

Das „Commitment“

Wie sah der Ablauf des Beteiligungsprojektes in Köln-Mülheim konkret aus?

Die Umsetzung des Projektes in Köln-Mülheim begann damit, dass vor Projektbeginn ein „Commitment“ eingeholt wurde, in dem der Verwaltungsvorstand informiert und um dezernatsübergreifende Mitarbeit und Unterstützung gebeten wurde. Entscheidungsträger:innen sollten sich dazu verpflichten, sich verbindlich mit den Ergebnissen der Beteiligung auseinandersetzen, um bei den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit hervorzurufen und so zukünftiges politisches Engagement zu fördern. Das „Commitment“ des Verwaltungsvorstands war dabei ein elementarer Gelingensfaktor für den Erfolg des Formats. Das „Commitment“ bedeutete, dass das Beteiligungsformat seitens der Dezernate und zugehörigen Ämter unterstützt wird und sich die relevanten Ämter in ihren Zuständigkeiten mitverantwortlich für die Prüfung der Ideen, Wünsche und Forderungen der Kinder und Jugendliche fühlten und auch Ansprechpartner:innen auf die Veedels- Konferenz entsendeten.

Die Spurgruppe

Vorbereitend wurde eine Spurgruppe gegründet, die aus circa fünfzehn Personen bestand. Darin vertreten waren, neben dem Projektteam, junge Menschen, wichtige Multiplikator:innen aus dem Stadtbezirk sowie Fachkräfte aus der Verwaltung. Diese Gruppe gab kritisches Feedback zu allen geplanten Maßnahmen, Zielen und Beteiligungsphasen. Außerdem testete sie den geplanten Online-Dialog auf dem städtischen Beteiligungsportal und diente als Multiplikatorin des Projektes.

Die Spurgruppe hat alle Projektphasen flankiert und wurde auch als Reflexionsgremium genutzt. Hier wurden zum Beispiel sowohl die Kommunikationsmittel auf Niedrigschwelligkeit, Verständlichkeit und Design seitens der jugendlichen Vertreter:innen „gecheckt“ als auch die Funktionalität des Kartendialogs getestet. Mit der Spurgruppe wurde auch abschließend das Gesamt-Format nochmals ausgewertet.

Der Veedels-Spaziergang

Die Beteiligungsphase an sich startete mit dem Veedels-Spaziergang. Zwei Wochen lang hatten Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, ihr Veedel zu erkunden und im Online-Kartendialog eine Rückmeldung zu Orten im Bezirk zu geben. Auf einer digitalen Karte konnten sie Lob, Kritik oder Verbesserungsvorschläge hinterlassen oder Fotos hochladen. Die Mobilisierung der Kinder und Jugendlichen erfolgte überwiegend über Multiplikator:innen aus Kinder- und Jugendeinrichtungen (Kitas, Schulen, Jugendzentren, Verbände, Sportvereine).

Während dieser zwei Wochen informierte die Stadt Köln mit einem Infostand im Stadtraum über das Projekt, ein Angebot, das von Teilnehmenden und weiteren Interessierten rege genutzt wurde.

Die Veedels-Konferenz

Auf die erste Phase der Ortsbegehungen folgte die Veedels-Konferenz. Ziel war es, die Ergebnisse der ersten Beteiligungsphase zu diskutieren und daraus konkrete, schnell umsetzbare Ideen zu entwickeln. Insbesondere die Themen Sauberkeit, Grün-/Freiflächen, Freizeitangebote, Sicherheit und Mobilität wurden in der Beteiligung angesprochen. Die Kinder und Jugendlichen waren während der Konferenz Expert:innen, die den Erwachsenen ihre Ideen erklären und mit ihnen auf Augenhöhe diskutieren konnten. Es waren Vertreter:innen aus Bezirkspolitik und Verwaltung anwesend. Dieser direkte Austausch war ein weiterer Beitrag zum Ziel, das Gefühl von Selbstwirksamkeit bei den Kindern und Jugendlichen zu fördern. Um eine verbindliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen sicherzustellen und einen Zeitraum in den Prozess einzubinden, der der Lebensrealität junger Menschen näher liegt, wurde zum Abschluss der Konferenz eine 100-Tage-Challenge gestartet.

Die 100-Tage-Challenge

Bereits vor der Beteiligungsphase sollte mit dem „Commitment“ sichergestellt werden, dass die Verwaltung Ergebnisse aus dem Beteiligungsverfahren umsetzt. In der 100-Tage-Challenge hatten die beteiligten Ämter nun 100 Tage Zeit, zu den Kommentaren und Vorschlägen Stellung zu nehmen und erste Maßnahmen bereits umzusetzen. Diese „Quick Wins“ trugen ebenfalls dazu bei, Wirksamkeitserfahrungen zu fördern.

Das Online-Beteiligungsportal wurde in dieser Zeit und wird immer noch stetig aktualisiert, um die Kinder und Jugendlichen über den Stand der Umsetzung auf dem Laufenden zu halten. Ziel ist es, alle Beiträge zu prüfen und transparent zu kommunizieren, welche Wünsche umgesetzt und welche aus welchen Gründen nicht umgesetzt werden können. Auf Wunsch der jungen Menschen wurde nach Abschluss der 100-Tage-Challenge ein Re- Check- Spaziergang durchgeführt. Gemeinsam wurden die benannten Orte besucht und über den Umsetzungsstand informiert.

Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich noch einige Anliegen in Prüfung. Andere Vorhaben, wie z.B. eine gewünschte Graffiti-Gestaltung am Wiener Platz in Köln Mülheim konnte mit Unterstützung der Bezirksvertretung Mülheim, dem Amt für Brücken-, Tunnel- und Stadtbahnbau, sowie einem Träger der Jugendhilfe realisiert werden. Diese Maßnahme bedurfte einer längeren Vorbereitung, da zunächst alle Genehmigungen und Beschlüsse vorliegen, die Kostenübernahme geklärt und auch die Wetterbedingungen für die Gestaltung gegeben sein mussten.

Learnings

Die Pilotphase brachte einige Erkenntnisse zu der Methode des Veedels-Checks, zur Ansprache der Kinder und Jugendlichen und zur strukturellen Einbettung von Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kölner Verwaltung mit sich:

Der dezentrale und niedrigschwellige Ansatz des Veedels-Checks gefiel den Beteiligten besser als andere Formate der Kinder- und Jugendbeteiligung, wie zum Beispiel Kinder- und Jugendparlamente. Die beteiligten Kinder und Jugendlichen fühlten sich durch den Ansatz ernst genommen und fanden es toll, dass sie als Expert:innen für ihre Lebenswelt ihre Ideen, Forderungen und Wünsche mitteilen konnten. Sie haben es als große Wertschätzung erlebt, dass sie mit Ansprechpartner:innen aus Politik, Verwaltung oder weiteren externen Partner:innen, wie zum Beispiel der Polizei oder den Abfallwirtschaftsbetrieben auf Augenhöhe sprechen konnten und Rückmeldungen erhalten haben. Auch negative Rückmeldung („Das klappt leider nicht“) mit einer verständlichen Begründung, warum ein Vorhaben nicht realisiert werden kann, wurde seitens der Kinder- und Jugendlichen positiv bewertet. Durch das Projekt wurden auch die Meinungen, Sichtweise und Themen der Zielgruppe für die Erwachsenen sichtbar und Kinder und Jugendliche erlebten ihre Lebenswelt als gestaltbar. Dies hat nachhaltig zur Stärkung der Kinder- und Jugendbeteiligung im Stadtteil beigetragen.

Durch die Mischung digitaler mit analogen Elementen konnte die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen sehr gut mobilisiert werden: Online-Formate sprechen diese Zielgruppe an, doch die Betreuung und Begleitung durch reale Ansprechpartner:innen waren essenziell für die Teilnahme. Bezugspersonen, die bereits mit den Kindern und Jugendlichen zusammen arbeiten, als Multiplikator:innen waren unerlässlich, um ihnen die Möglichkeit der Teilnahme nahezubringen. Es bedarf mitunter einer anderen Ansprache, Niedrigschwelligkeit, aber auch Attraktivität, um die Zielgruppe für eine Beteiligung zu motivieren. Grundsätzlich konkurriert jedes Beteiligungsformat auch mit alternativen Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten.

Eine noch stärkere Einbindung von Schulen und damit der Kinder und Jugendlichen sowie die Förderung des Peer-to-Peer-Ansatzes und der Wunsch nach einem eigenen Projektbudget waren Erkenntnisse des Projektes: Die Einbindung von Schulen soll künftig durch eine Kooperation mit den Teachers for future Germany e.V. erreicht werden. Dabei sind Workshops für Schulklassen geplant. Eine Förderung des Peer to Peer Ansatz soll durch eine Kooperation mit dem Verein Youth lead the change Germany e.V. erfüllt werden. Der Verein wird Jugendliche (u.a. aus der Spurgruppe) zu sogenannten Change-Agents ausbilden, die eine federführende Rolle im Rahmen des Veedels- Checks einnehmen sollen. Zudem wollen Jugendliche aus Mülheim als „Berater*innen“ den Veedels- Check im nächsten Bezirk unterstützen. 

Ein eigenes Projektbudget konnte im ersten Schritt nun eher zufällig realisiert werden. Die Bezirksvertretung hat einen Beschluss gefasst, in dem sie 75.000 Euro aus ihren Stadtverschönerungsmitteln in die Hand von Kindern und Jugendlichen geben möchte. Diesen Beschluss wird im Rahmen des Veedels- Checks aufgegriffen. Neben den Quick-wins und Maßnahmen, die seitens Verwaltung, Politik oder weiterer Partner*innen umgesetzt werden, gibt es nun auch die Möglichkeit, eigene Projekt- oder Maßnahmenideen mit den 75.000 Euro umzusetzen. Die vorgeschlagenen Projekt- und Maßnahmenideen sollen mindestens eines der 17 Nachhaltigkeitsziele integrieren. Zusätzlich ist eine sorgfältige Berücksichtigung des Kriterienkatalogs der Stadtverschönerungsmittel erforderlich und die Abstimmung mit dem federführenden Amt, sowie ein finaler Beschluss durch die Bezirksvertretung unerlässlich.

Auf verwaltungsinterner Ebene hatte das Projekt den Effekt, dass auch Ämter, die bisher noch keine Kinder- und Jugendbeteiligung durchgeführt hatten, bereit waren, am Projekt mitzuwirken. Der Veedels-Check und die verwaltungsinterne Information im Vorhinein erhöhten die Sichtbarkeit des Themas Kinder- und Jugendbeteiligung. Es wurde also ein interner Prozess angestoßen, den Perspektiven von Kindern und Jugendlichen mehr Bedeutung beizumessen.

Der Veedels-Check als Format ist in der Vorbereitung und Durchführung aufwendig und bedarf für eine erfolgreiche Umsetzung ausreichender personeller und finanzieller Mittel. Darüber hinaus bedarf der Veedels-Check dem „Commitment“ der Verwaltungsspitze, um zu gewährleisten, dass alle relevanten Ämter das Format in ihrer Zuständigkeit unterstützen. Der Veedels-Check kann nur gelingen, wenn vorhandene Netzwerke und bezirkliche Multiplikator:innen eingebunden werden und das Format ebenfalls unterstützen. Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen von Beginn an, zum Beispiel in Form der Einrichtung einer Spurgruppe, ist essenziell. Nur so kann gewährleistet werden, dass das Format zielgruppengerecht konzipiert ist und die Zielgruppe erreicht und angesprochen wird.

 

Der Beitrag ist angelehnt an den Bericht „Kinder und Jugendliche als Zielgruppe der Systematischen Öffentlichkeitsbeteiligung in Köln“ erschienen im eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung 02/2023 vom 16.05.2023

Mehr Informationen zum Veedels-Check findet ihr hier

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