Eine gerechte Digitalisierung muss menschenzentriert sein!

Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik und muss menschenzentriert sein! Nandita und Corinna vom SUPERRR Lab, dem Labor für feministische digitale Zukünfte, erzählen uns, wie eine gerechte und inklusive Digitalisierung aussehen kann und welchen Beitrag das SUPERRR Lab dazu leistet. Wenn ihr mehr erfahren wollt, lest weiter und besucht ihre Session beim D³-Kongress!

Wer seid ihr und was macht ihr?

Wir sind Nandita und Corinna von SUPERRR Lab, dem Labor für feministische digitale Zukünfte. SUPERRR Lab agiert an der Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft und arbeitet auf eine gerechte und inklusive Digitalisierung hin.

Nandita betreut das Stipendienprogramm „Risktakers“, das mit künstlerischen und aktivistischen Ansätzen an inklusiven und gerechten Zukünften arbeitet. Corinna betreut die politische Arbeit und sorgt dafür, dass feministische Perspektiven in die Digitalpolitik Deutschlands und der EU übernommen werden.

Warum ist das wichtig?

Viele Organisationen der Zivilgesellschaft sind damit beschäftigt, Watchdog-Arbeit zu betreiben und versuchen, die negativsten Konsequenzen schlechter Digitalpolitik auszubessern. Das ist sehr wichtige Arbeit, aber hinterlässt eine Leerstelle: die Zukunft. Wie aber sehen gerechte, dekoloniale, feministische, digitale Zukünfte aus? Und wie kommen wir dort hin? Mit einem intersektional-feministischen Selbstverständnis setzen wir uns zum Ziel, gerechtere Zukünfte zu imaginieren. Wir erforschen Technologien, schaffen Räume für das Gestalten neuer Narrative und das Bauen neuer Netzwerke, die einer nachhaltigen, gerechten Zukunft gewidmet sind.

Was genau versteht ihr unter einem feministischen Ansatz?

Eine feministische Digitalpolitik erkennt die Grenzen aktueller digitalpolitischer Perspektiven und nimmt eine proaktive, intersektionale Haltung ein. Feministische Digitalpolitik steht für einen Paradigmenwechsel: weg von „höher, weiter, schneller“ hin zu „nachhaltiger, gerechter und menschenzentrierter“. Sie richtet ihre Prioritäten nach sozialen, nicht nur wirtschaftlichen Bedürfnissen aus. Durch eine intersektionale feministische Linse werden soziale Fragen wie Zugang, Mitgestaltung, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit angesprochen. Wenn es uns gelingt, die Perspektiven der Digitalpolitik auf diese Weise zu verändern, wird sie eine ganz andere Wirkung erzielen: Sie hat das Potenzial, Ungleichheiten nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auf globaler Ebene abzubauen.

Es gibt einen entscheidenden Aspekt, der unserer Meinung nach nicht genügend Beachtung findet: Feministische Digitalpolitik ist ein (⁠Lern⁠-⁠)⁠Prozess und keine Programmatik. In diesem herausfordernden, sich ständig verändernden Politikumfeld müssen wir unsere Methoden kontinuierlich bewerten, lernen und verbessern. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Digitalpolitik: Mit dem selbsterklärten Ziel, einen globalen Effekt zu erzielen, muss Digitalpolitik auch global diskutiert und international gedacht werden, anstatt die Interessen einzelner Nationalstaaten zu verfolgen. Eine feministische Sichtweise kann dabei helfen, diesen lange antrainierten Reflex zu überwinden und radikal andere Politikansätze anzuwenden, welche die Menschen, denen sie dienen sollen, ermächtigen und schützen.

Was hat das Thema Digitalisierung mit Teilhabe und Beteiligung in der Demokratie zu tun?

Wir sagen ganz klar: Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik! Für funktionierende Demokratien ist die Teilhabe aller elementar. In einer digitalisierten Gesellschaft heißt das also auch Teilhabe an digitalen öffentlichen Räumen. Dafür müssen Menschen Zugang dazu haben, aber es gibt sehr viele Barrieren, die es zu erkennen und abzubauen gilt.

Mit was beschäftigt ihr euch gerade? Welche aktuellen Herausforderungen gibt es?

Wir beide beschäftigen uns vor allem mit der Einbindung von Gruppen, die oft in politischen Diskursen nicht gehört werden. Das ist für uns zentral in einer feministischen Herangehensweise.

Die Fellowship-Programme

Nandita geht dies im „Risktakers“-Fellowship an, bei dem sich die Fellows ganz praktische Lösungen dafür überlegen, wie ihre Communities digitale Zukünfte aktiv mitgestalten können. Ein Fellow beschäftigt sich zum Beispiel damit, wie queere und chronisch kranke Personen durch digitale Hilfsmittel an politischer Arbeit teilhaben können.

Durch unsere Fellowship-Programme „Muslim Futures“ und „Risktakers“ unterstützen wir Einzelpersonen oder kleine Teams, die sich aus den verschiedensten Blickwinkeln mit der Zukunft beschäftigen. Dazu gehören Künstler*innen, Dichter*innen und Aktivist*innen. Diese Einzelpersonen und kleinen Teams arbeiten an Projekten und Ideen, die noch nicht zum Mainstream gehören, aber für ihre Communities wichtig sind, wenn es darum geht, ihre Zukunft aktiv zu gestalten. Ein Beispiel aus dem jüngsten Fellowship ist ein Online-Magazin in Comic-Form, das eine feministische und integrative Vision für die Zukunft des Internets im Nahen Osten und Nordafrika (MENA) vorschlägt. Shatha und Sereen, die als Fellows an diesem Projekt arbeiten, stammen aus Palästina und sind Teil der queeren Gemeinschaften in ihrer Region.

Einsatz gegen digitale Gewalt

Corinna setzt sich viel mit dem Thema digitale Gewalt auseinander, denn: Eine resiliente Gesellschaft lebt von diversen Stimmen im öffentlichen Raum. Dies wird durch digitale Gewalt gestört, die oft Frauen und mehrfach marginalisierte Personen betrifft. Besonders rechte Gruppierungen nutzen digitale Gewalt, um gezielt Menschengruppen, wie trans Personen, anzugreifen und den demokratischen Austausch einzudämmen.

Digitale Gewalt ist mehr als Hate Speech auf Plattformen wie Facebook oder Instagram. Digitale Gewalt umfasst verschiedene Formen von Gewalt, die mithilfe technischer Geräte und über Apps, Programme oder Plattformen ausgeübt werden, so der Dachverband der deutschen Frauenhäuser. Grob lassen sich also zwei Formen digitaler Gewalt unterscheiden: Einerseits Gewalt auf Plattformen wie Hate Speech und andererseits Gewalt, die mithilfe technischer Geräte und/oder digitaler Technologie ausgeführt wird, wie zum Beispiel das Ausspionieren durch AirTags und andere tracking devices. Digitale Gewalt betrifft insbesondere Frauen und marginalisierte Communities, am häufigsten mehrfach marginalisierte Menschen. Digitale Gewalt ist häufig mit analoger Gewalt verknüpft, etwa als Fortsetzung oder Ergänzung von analog bestehenden Gewaltdynamiken. Auch die Intentionen ähneln sich stark – es geht um Macht, Kontrolle, Unterdrückung, Demütigung, Verletzung und im schlimmsten Fall sogar Vernichtung.

Welche Lösungsansätze seht ihr? Was muss sich wie ändern?

Um eine wirklich gerechte Digitalisierung umzusetzen, brauchen wir einen intersektionalen, dekolonialen, feministischen Ansatz, der diejenigen gesellschaftlichen Gruppen ins Zentrum rückt, die am stärksten von den negativen Folgen der Digitalisierung betroffen sind. Wir müssen weg von „höher, schneller, weiter“, hin zu „nachhaltiger, gerechter, menschenzentrierter“.
Das heißt, dass unter anderem die Zivilgesellschaft aktiv in politische Prozesse eingebunden werden muss, denn ohne einen gesamtgesellschaftlichen Blick können Maßnahmen nicht zum Wohle aller wirken.

Was ist euer Beitrag dazu?

Wir wollen ganz aktiv diesen gesamtgesellschaftlichen Blick auf die Digitalpolitik durch Methodik und aktive Einbindung diverser Communities schärfen.

Deswegen besteht unsere Arbeit aus drei Säulen: Durch unsere Fellowship-Programme unterstützen wir Einzelpersonen und erarbeiten gemeinsam wünschenswerte Zukünfte. In unserer Forschungsarbeit untersuchen wir die sozialen Auswirkungen von Technologien. Wir setzen dabei einen Schwerpunkt auf aktive Zukunftsgestaltung und wie diese methodisch umgesetzt werden kann. In unserer Advocacy-Arbeit übertragen wir diese Ergebnisse in politische und gesellschaftliche Prozesse. 

Was möchtet ihr noch loswerden? 

Fragt ihr euch, woher der Name „SUPERRR Lab“ kommt? Sprecht uns gerne während des D³-Kongresses darauf an!

 

QUELLEN:

Orbit – Field guide to advance intersectional, survivor-centered, and trauma-informed interventions to technology-facilitated gender-based violence

 

Wenn ihr mehr zu diesem Thema erfahren möchtet, meldet euch hier zu Nanditas und Corinnas Session beim D³-Kongress an!

Nandita und Corinna haben unsere Fragen schriftlich beantwortet.

 

 

 

 

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